Ganz ehrlich: Als Neverwhere zu Ende war, habsch fat geheult. Nicht (nur), weil es irgendwie ein ergreifendes Ende war. Sondern einfach, weil es das Ende war...
Leider bekommt er das nicht immer alles so hin. So wie an dem Abend, als seine Freundin dieses TOTAL WICHTIGE ("Richard, dass ist der wichtigste Augenblick deines Lebens!") Abendessen mit ihrem Boss hat, für das Richard den Tisch bestätigen sollte...Bestätigen...Ja...Hatte er den eigentlich bestellt? Immerhin...sie hatte ihm gesagt, dass er es machen soll. Und er hatte verstanden, dass es wichtig ist...Aber...er konnte sich jetzt nicht wirklich daran erinnern, dass er mit den Leuten vom Restaurant....Naja...wird schon alles gut gegangen sein. Der Abend droht eine Katastrophe zu werden, Jessica (seine Freundin) steht schon auf dem Hinweg kurz vor einem Nervenzusammenbruch, aber noch kann alles gut werden - oder auch nicht... Denn in diesem Augenblick fällt Richard eine völlige verdreckte, blutende und halbewusstlose Door vor die Füße (ich denken mal, sie heißt auch auf Deutsch so. Ich habs nur auf Englisch gelesen). Jessica sieht Door erstmal gar nicht, besteht dann aber darauf, dass er sie liegen lässt, schließlich haben sie wichtigeres zu tun. Er könne ja einen Krankenwagen rufen - vom Restaurant aus! Und dann passiert es. Richard hat zum ersten Mal in seinem Leben Eier. Er nimmt das verdreckte junge Mädchen, das sich weigert, in ein Krankenhaus zu gehen und etwas davon faselt, man würde sie ort finden, in die Arme und trägt sie zu sich nach Hause. Damit geht der ganz Schlamassel los. Von nun an wird Richard alle paar Seiten fassungslos und hilflos den Kopfschütteln, auch dann noch, als er selbst Teil dieser absolut unfassbaren Welt wird. Eine Welt die "London Below" heißt, im Gegenteil zum "London Above" indem er bisher gelebt hat.
London Below ist eine verrückte Welt in der alles und jeder gefährlich ist (sogar die berüchtigte Lücke zwischen dem Bahnsteig und der Metro), in der Ratten Könige sind und in der das große Biest sein Unwesen treibt. Edelviertel sind hier unten gefährliche Ecken, die Knightsbridge wird zur menschenverschlingenden Night's Bridge, die überquert werden muss, um den Fliegenden Markt zu erreichen, dem einzigen sicheren Ort in London Below, auf dem man einfach alles kaufen kann. Alpträume, Müll (garantiert wertlos und ohne jeden Nutzen), Gefundenes, Gestohlenes, Totes und Lebendiges. Oft gibts es Anspielungen auf unsere verrückte Konsumgesellschaft, aber ohne mahnenden Zeigefinger, sondern immer mit einem Zwinkern im Auge. Neil Gaiman will uns einfach gut unterhalten. Und trotzdem ist es auch irgendwo ernst gemeint. Nich tnur der Markt. Das ganze London Below ist für Menschen aus dem oberen London unsichtbar. Und irgendwo stimmt das ja auch. Leute die durch das (soziale) Netz fallen, durch die Lücken (der Gesellschaft), kommen ganz unten an. Wie bei Gaiman, so verschwinden auch die Menschen in der Wirklichkeit, wenn sie erstmal Teil dieser Parallelgesellschaft geworden sind. Sie sind unsichtbar oder werden von uns zu Unsichtbaren gemacht. Man will sie nicht sehen und will von ihnen nichts wissen. Aber wenn man erst einmal involviert ist, dann lässt es einen nicht mehr los.
Und genau das macht dieses Buch finde ich noch lesenswerter. Weil es nicht einfach nur irgendein Fantasiebuch ist.
Gaiman sagt, als er das Buch schrieb, wollte er eine Kinderbuch für Erwachsene schreiben. Das klingt irgendwie simpel. Ist es aber gar nicht. Denn Kinderbücher, gerade die Klassiker, sind oft sehr anspruchsvoll. Sie sollen Kinder erziehen, ihnen Dinge mit auf den Weg geben, sie auf eine Welt vorbereite, die sie noch nicht kennen. Gaiman erzieht Richard in diesem Buch von einer schwachen Persönlichkeit zu einem Helden des Alltags. Und mit ihm erzieht er auch uns. Die wir plötzlich mehr wollen, als zu unseren Lern- und Arbeitssachen zurückzukehren. Und auch deshalb hätte ich heulen können, als das Buch zu ende war. Ich wollte nach Neverwhere zurück.
Was lässt sich sonst noch sagen? Das Buch wird gerne als eine Art "Alice im Wunderland" der Moderne bezeichnet, das ist wohl nicht ganz abzustreiten, denn auc Alice fällt durch eine Lücke in einer fremde Welt. Dort gibt es Dinge, die es auch bei ihr zu Hause gibt, bloß ganz anders. Alles ist gefährlich, alles ist verkehrt. Der marquis erinnert durchaus an Hutmacher und Grinsekatze, Door ist eine bezaubernde Alice, die im Kanichenbau geboren wurde und Hunter ist vielleicht so einer Art...mmh...agressiver Hase? Vielleicht sollte ich das Buch noch mal lesen. In keinem Fall würde ich sagen, dass Gaiman abgeschrieben hat. Vielleicht hat in Alice inspiriert, vielleicht auch nicht. Dem Buch schadet es jedenfalls nicht, im Gegenteil. Es wird dadurch nur besser.
Und deshalb: Macht euch auf die Reise. Zieht mit Richard durch London Below. Nehmt einen Stadtplan und genug Verpflegung mit. Rechnet mit dem Unglaublichen. Lasst euch von Door bezaubern, vom Marquis de Carabas verhöhnen, von Croup und Vandemar jagen, von Hunter retten und von den Velvets verführen. Lebt einen Tag in der Unterwelt und werdet
Und wenn es euch am Ende wir mir geht und ihr immer wieder zurück wollt: Es gibt auch noch einen Comic und die (ursprüngliche) Serie.
Kleiner Tipp am Rande: Kauft euch die "Author's preferred text"-editon mit dem ursprünglichen Prolog einem Interview und Diskussionsfragen für Lesegruppen.
No clue what you say but I am sure you will tell how AMAZING this book is!
AntwortenLöschenBTW, Neil Gaiman just started writing himself on his facebook fanpage :D He's publishing pictures of his dog! jujuju